Vom Tierheim in den Knast? Eine Hundegeschichte

Tierheim - wie Knast für Hunde?
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6 Minuten
Klaus-Dieter Oettrich
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„Wie kommt es, dass eine Tiermedizinstudentin zum Arbeiten zu uns in dieses jämmerliche
Tierheim kommt?“ fragte Ute die Leiterin des Tierheimes.

Lizi antwortete: „Ich bin die Tochter einer Gastarbeiterfamilie aus Spanien. Meine Eltern kehrten
vor 3 Jahren nach Spanien zurück. Ich studiere Tiermedizin. Aus finanziellen Gründen unterbreche
ich mein Studium. Was lag daher näher, als in einem Tierheim zu arbeiten, welches nur wenige
Kilometer von meinem Appartement entfernt ist. Ich kann hierher mit dem Fahrrad fahren.
Der Finanzgott hatte es nicht gut mit meinen Eltern gemeint. Dafür freuen sich 5 Hunde und 2
Katzen, weil sie in der Familie in einem Vorort von Sevilla leben dürfen. Nachdem mein Vater den
Job als Fernlastwagenfahrer verloren hatte, ging es steil bergab mit ihm. Er wurde Alkoholiker.
Meine Mutter verdient als Putzfrau noch ein paar Euros.“

„Vielen Dank für deine Offenheit,“ antwortete Ute. „Du hast ja schon in deiner Jugend einiges
durchmachen müssen.“

„Jammern hilft nicht, nur der Blick nach vorne ist wichtig.“

„Komm mit mir, ich zeige dir das Tierheim,“ sagte Ute. „Seit 20 Jahren leite ich das Tierheim mit 6
Mitarbeiter/innen. Darunter ist auch ein Tierarzt. Ein komischer Typ. Du wirst ihn ja noch
kennenlernen. Die meisten Tiere kommen aus Spanien.“

„Daher will ich auch hier arbeiten, damit ich mich mit den Tieren auf Spanisch unterhalten kann.“

Ute sah Lizi verwundert an.

„Es handelt sich meist um Mischlingshunde, die sich anfänglich in einem schlechten
gesundheitlichen Zustand befinden. Wir päppeln sie wieder auf und versuchen sie dann zu
vermitteln. Dies ist nicht leicht, denn viele Schönheiten sind nicht darunter.“

„Schönheit ist doch nicht alles. Viel wichtiger ist doch die Treue und Liebe der Tiere.“

„Ja, das sagst du. Aber bald wirst du hören wie die Interessenten über die Hunde etc. sprechen.
Zum Glück verstehen die Tiere dies nicht.“

„Wer weiß das schon,“ meinte Lizi.

Wieder schaute Ute überrascht.

Ute stellte nun auch die Mitarbeiter/innen vor. Als letzter war der Tierarzt Ralf an der Reihe.
Das Telefon läutete und Ute raste ins Büro.
Er sah äußerlich wie ein ausgeflippter Typ aus. 180 cm groß, ca. 30 Jahre, schlank, helle und nicht
gerade gepflegte Haare, aber wunderschöne blaue Augen.

Lizi streckte ihm die Hand entgegen: „Mein Name ist Lizi. Ich studiere Tiermedizin.“

Ralf erwiderte den Händedruck: „Mein Name ist Ralf. Zum Glück habe ich dieses blöde Studium
schon hinter mir.“

„Hat dir das Studium nicht gefallen?“

„Viel zu viel Theorie. Ich denke, dass viele Studenten nach dem Studium auf der Straße einen Hund
nicht von einer großen Katze unterscheiden können.“

„Das ist aber wohl doch übertrieben.“

„Vielleicht, ich habe so meine Macken.“

Lizi konnte ein Kopfnicken nicht unterlassen.

Ralf bemerkte dies und fing an zu lachen.

„Du gefällst mir, du bist ehrlich.“

„Bist du während deinem Studium viel gereist?“

„Ja, was mich dabei sehr erschreckte, war das Leiden der Tiere. Auch von Tierärzten wurde ich
enttäuscht. Es ging ihnen meist nur ums Geld verdienen. Die großen Fabriken der
Tierfutterhersteller sind nur auf Profit ausgerichtet. Irgendwann werde ich mir mal was einfallen
lassen.“

Ute kam aus dem Büro zurück und setzte mit Lizi den Rundgang im Tierheim fort. „Der Ralf ist
schon ein seltsamer Typ,“ sagte sie zu Lizi.

„Was verdient denn der Ralf?“ Fragte Lizi.

„Nichts, er will den Tieren helfen, ohne dafür Geld zu erhalten.“

Nach einer Woche sah Lizi wie Ralf aus einem alten R4 Tierfuttersäcke auslud.

„Ralf, wo hast du das Futter gekauft?“ Fragte Lizi.

„Wer sagt gekauft? Der Tiergott hat mir einen Tipp gegeben.“

„Ralf, komm ja nicht auf die schiefe Bahn, sonst landest du noch im Knast.“

„Sollte ich mal im Knast landen, dann bestimmt nicht wegen so einer kleinen Bagatelle.“

Man traf sich nun auch manchmal am Abend.

„Ralf, ich möchte dir helfen bei dem, was du für die Tiere tust. Aber nicht auf kriminellen Wegen.“

„Lasse mich nur alleine alles tun. Aber vielleicht kann ich später mal auf dein Angebot zurück
kommen.“

Am nächsten Tag kam Ralf nicht zur Arbeit.

„Wo ist denn Ralf heute?“ fragte Lizi.

„Er hat seine Arbeit hier beendet. Wir wissen nicht, wo er ist,“ erwiderte Ute.

Einmal in der Woche kam nun ein Tierarzt, bei dem Lizi assistieren konnte.

Nach zwei Jahren lief das Tierheim wirtschaftlich immer schlechter, daher unterbreitete Lizi den
Vorschlag an Ute sich eine andere Arbeitsstelle zu suchen.
Sie hatte großes Glück und bekam eine gut bezahlte Arbeitsstelle in der Versandabteilung bei einem
Tierfutterhersteller.
Sie stellte die Versandpapiere aus, kontrollierte den Versand , stellte Fahrtrouten zusammen usw..

Lizi arbeitete sich schnell ein. Was sie nach kurzer Zeit aufmerksam machte, dass einige
Lieferscheine wohl vom Chef persönlich unterzeichnet waren. Der Großteil aber – was üblich war –
von den Mitarbeitern im Sekretariat.

Irgendwie fand Lizi dies doch eigenartig. Mit dem Fahrrad radelte sie zu Ute.
Beide umarmten sich herzlich.

„Ute ich möchte dich etwas fragen. Woher bekommt ihr das Tierfutter?“

„Das wird uns durch einen LKW geliefert.“

„Und wie bezahlt ihr die Lieferungen?“

„Gar nicht, es handelt sich um einen Spender.“

„Wie heißt der Spender?“

„Weiß ich nicht, er will unbekannt bleiben. Viele Spender wollen es so.“

Auf der Rückfahrt dachte Lizi, ich muss diese Angelegenheit hier bei uns auch mal nachforschen.
Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl.

Lizi ging zum Sekretariat.
Die Chefsekretärin Beate kannte sie. Man war schon einige Male zusammen Kaffee trinken.
Geschäftlich ging es meist um dringende Lieferungen. Die rasche Abwicklung wurde besprochen.
Aber auch privat verstand man sich gut.
Beate war heute nicht da.

Lizi fragte eine Sekretärin, warum bei einigen Lieferscheinen jemand anderes unterschrieben hat.

„Es handelt sich um besondere Kunden.“

Mit den Worten: „Besten Dank für ihre freundliche Auskunft,“ verließ Lizi den Raum.
An der danebenliegenden Türe sah sie das Namensschild: Dr. Ralf Peterson.
Lizi überlegte.

Auf einmal wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, da eine herrschende Stimme hinter ihr sagte:
„Was tun denn Sie hier?“

Sie drehte sich um und sah in das überraschte Gesicht von Ralf.

„Bist du der Chef hier?“ fragt Lizi.

„Ja, ich bin für einige Abteilungen zuständig.“

„Aber sag mal arbeitest du bei uns?

„Ja, in der Versandabteilung.“

„Dann ist wohl alles nun aufgeflogen.“

„Das kann man sagen. Eigentlich sollte ich nun die Polizei rufen und die Firma müsste Anklage
gegen dich erheben.“

„Tue, was du nicht lassen kannst. Ich kann dir eine genaue Aufstellung geben, an welche Tierheime
kostenlos geliefert wurde.“

„Du hast ja wirklich eine Macke.“

„Das habe ich dir ja schon bei unserer ersten Begegnung gesagt.“

„Nun ist wohl der Augenblick gekommen, dass ich dir helfen muss.“

Ralf schaute Lizi überrascht an.

„Gehen wir zusammen essen?“ fragte Lizi. „Treffen wir uns heute Abend um 20 Uhr in der
Gaststätte zum Bären?“

„Gerne, ich werde pünktlich dort sein.“

Als sie zu Hause war, telefonierte Lizi mit Beate. Dann duschte sie und machte sich auf den Weg
zur Verabredung.

Man begrüßte sich freundlich und wollte sich gerade an einen Tisch setzen, als zwei Polizisten
direkt auf Ralf zukamen. Ralf dachte, da hat mich aber Lizi ganz schön reingelegt.

Ja, er hatte Angst vor dem Knast. Oft wachte er in der Nacht schweißgebadet auf. Immer wieder
hörte er die Worte des Richters: Unser Urteil lautet, der Angeklagte ist schuldig.

Ein Beamter sagte freundlich: „Entschuldigen sie bitte die Störung. Dr. Peterson, bitte fahren sie
ihren Wagen aus dem Halteverbot.“

Ralf dachte: Mit Handschellen und Fußfesseln?

Mit zitternden Händen kam Ralf der Aufforderung des Polizeibeamten nach.
Als Ralf ins Restaurant zurückkehrte sagte, Lizi: „Ralf, du siehst ja ganz erschrocken aus.“
„Das bin ich auch. Ich war der Meinung, dass es meine letzten Minuten in Freiheit waren.“

„So schnell geht alles auch wieder nicht. Beruhige dich. Trinken wir erst mal ein Bier.“

Kaum hatten sie sich an den Tisch gesetzt, ging die Eingangstüre des Restaurants auf und der
Geschäftsführer Dr. Vogel kam mit seiner Sekretärin Beate herein. Sie gingen direkt auf den Tisch
von Ralf und Lizi zu.
Sie begrüßten sich freundlich.

„Schon seit einiger Zeit wollte ich mit ihnen sprechen,“ sagte Dr. Vogel zu Ralf. „Dürfen wir uns an
ihren Tisch setzen?“

„Selbstverständlich“, antwortete Lizi.

Ralf war so nervös, dass er sich fast neben seinen Stuhl setzte. Nun konnte er nur noch warten bis
Dr. Vogel die Anschuldigungen gegen ihn aussprach und die Polizei holte.

„Ralf, ich habe Sie noch nie in Jeans gesehen,“ bemerkte Dr. Vogel.

„Bisher war es auch noch nicht angebracht. Nun aber werde ich meine Anzüge der Heilsarmee
vermachen.“

„Aber warum denn das?“

„Ich kündige.“

„Wie kommen Sie denn plötzlich auf diese Idee?“

„Ich habe das Unternehmen hintergangen.“

„Bleiben Sie mal ganz ruhig. Seit über 6 Monaten weiß ich, dass wöchentlich 2 bis 3 kleinere LKW
die Restbestände von dem Tierfutter vom letzten Jahr, welches dieses Jahr nicht mehr in unser
Verkaufsprogramm passt, zu notleidenden Tierheime fahren. Auch ins Ausland wurde geliefert.“

„Ja, das habe ich zu verantworten.“

„Aber Ralf, das ist eine fabelhafte Idee. Wollte mit ihnen schon darüber sprechen, denn es ist doch
eine super Werbung für uns. Die Presse wird sie und die Firma in den höchsten Tönen loben.“

Ralf konnte nicht glauben, was er gehört hatte.

„Also,“ sagte Dr. Vogel, „wenn sie ihre Anzüge der Heilsarmee vermachen möchten, so können sie
es natürlich gerne tun, nach dem Motto der Pfadfinder: Jeden Tag sollst du eine gute Tat tun. Was
sie aber dann tun müssen, sich sofort neue Anzüge kaufen.“

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“

„Dies ist noch nicht alles, ich werde – Dr. Peterson – sie in die Geschäftsleitung berufen und
werden dort mein zukünftiger Stellvertreter sein.“

„Wem habe ich das zu verdanken?“

„Viele hunderte Tiere danken ihnen, weil sie vor Hunger nicht sterben mussten.“

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Beitragsbild:Roman Samokhin/Shutterstock